Langenhorner Rundschau, Dezember 2022
Die Bebauung des Diekmoores ist kein Gottesurteil
Stellen Sie sich auf keinen Fall einen Elefanten vor, der laut trompetend in Ihrem Wohnzimmer steht. Was passiert? Wahrscheinlich steht gerade ein trompetender Elefant in Ihrem Wohnzimmer. Ein Hirngespinst, das Ihnen eingeredet wurde, mit dem Hinweis, sich das bloß nicht einreden zu lassen.
So ähnlich macht es gerade das Bezirksamt Hamburg-Nord, wenn es um die von ihm gewünschte Bebauung des Diekmoores geht: Es platziert riesige Hirngespinste in der Öffentlichkeit, und die Fakten gehen in all dem Getöse unter. Schiebt man die Hirngespinste beiseite und macht einen Abgleich mit der Realität, wird man auf den Internetseiten der Stadt Hamburg schnell fündig. Ein regierungsamtlicher Faktencheck sozusagen.
Auch wenn es sich die Grüne Bezirksamtsleitung recht gemütlich in der Ohnmachtshaltung eingerichtet hat: Die Bebauung des Diekmoores ist kein Gottesurteil. Die Evokation (die Senats- weisung zu bauen) hat der Bezirksamtsleiter erbeten – die Herausforderung, sich den Langenhorner Wählerinnen und Wählern zu stellen, war offensichtlich zu hoch. Die Bezirksversammlung Hamburg-Nord braucht sich allerdings an die politische Selbstentwertung nicht zu halten. Auch wenn sie juristisch keine Handhabe hat – äußern kann sich die Bezirksversammlung sehr wohl: Sie kann den Senat auffordern, die Evokation zurück zu nehmen und die rechtlich vorgesehene Bürgerbeteiligung vor Ort zu respektieren. Ebenso sieht es mit den Alternativen aus, die die Initiative »Rettet das Diekmoor!« stets aufs Neue vorschlägt: Natürlichkann die Baubehörde die Nutzungsänderung eines Gewerbegebiet in ein Wohngebiet veranlassen. Und natürlich kann die Baubehörde auch vorschreiben, dass ein Parkplatz, Supermarkt oder sonstiges Gebäude nur gebaut werden darf, wenn eine Anzahl X Wohnungen dabei entstehen. Das Baurecht sieht solche Gestaltungsmacht ausdrücklich vor. Das Diekmoor zuzubauen erscheint dem Bezirksamt offensichtlich einfacher, als sich mit mächtigen Grundstückseigentümern anzulegen. Dabei gibt es genügend Gründe, es so zu belassen wie es ist.
Untersucht wurde das Gelände und der Tierbestand auf 70 Hektar
Das Bezirksamt hat das städtische Zwischengutachten für das Diekmoor veröffentlicht. Titel: »Rahmenplan Diekmoor Bestandserhebungen zu Fauna und Biotoptypen, Zwischen-Bericht, Stand 31.08.2022, Auftraggeber: Bezirksamt Hamburg-Nord, Dezernat Wirtschaft, Bauen und Umwelt, Abteilung Landschaftsplanung«. Pferde- und sonstige Wiesen und Gehölze, die Moorreste, das Rückhaltebecken und der Bornbach wurden untersucht. Die Kleingärten eher nicht (dazu gleich). Die Rahmenbedingungen für das Gutachten waren karg – der Untersuchungszeitraum war von März bis Mitte Juli 2022. Für die Fledermäuse und Libellen wurde noch bis einschließlich September dieses Jahres geschaut. Die Kleingärten wurden – trotz eines entsprechenden Angebotes seitens der Gärtner*innen – nicht betreten und folglich nur sehr beschränkt bis gar nicht in die Begutachtung einbezogen. Das Untersuchungsgebiet reduziert sich dadurch natürlich erheblich.
Für die Brutvögel, Fledermäuse und Libellen haben sechs Begehungen, für die Nachtvögel drei Besuche stattgefunden. Der Bestand von Amphibien, Reptilien, des Nachtkerzenschwärmers und des Scharlachkäfers wurde durch sog. Potenzialanalysen ermittelt, d.h. das Gelände wird daraufhin untersucht, ob die entsprechenden Tiere dort leben können. Ein direkter Nachweis erfolgt nicht zwingend.
Trotz der zeitlichen und räumlichen Beschränktheit sind die Ergebnisse beeindruckend
Gefunden wurden 56 Vogelarten. 47 von ihnen nutzen das Diekmoor als Brutgebiet. Darunter sind der streng geschützte Eisvogel, der Grünspecht, die Teichralle, Mäusebussard und Sperber (alle ebenfalls streng geschützt). Der gefährdete Star brütet in Kolonien im Diekmoor. Die Fledermäuse tummeln sich dort mit mindestens 9 besonders streng geschützten Arten.
Die Amphibien sollten eigentlich per Potenzialanalyse gefunden werden (nach dem Motto: »Können die hier überhaupt leben?«). Die besonders geschützten Erdkröten und Grasfrösche sind dem Gutachter gleich vor die Füße gesprungen. Und wie sie durch das Diekmoor wandern, kann man in dem Bericht ebenfalls nachlesen.
17 besonders geschützte Libellenarten wurden beobachtet, 3 von ihnen auf der Roten Liste. Nachtkerzenschwärmer, Scharlachkäfer (ebenfalls auf der Roten Liste), Teichmolch, Waldeidechse, Ringelnatter – mittlerweile rare Schätze, die sich alle im Diekmoor einfinden. Folgerichtig stuft das Gutachten mehrere Gebiete im Diekmoor als gesetzlich geschützte Biotope ein, unter anderem den Bornbach, der quer hindurchfließt. Eine Untersuchung über Auswirkungen einer möglichen Bebauung auf die Erwärmung der Stadt Hamburg ist erst vorgesehen, wenn die Planung fertig ist. Während »normale« Menschen ins Portemonnaie gucken, bevor sie kaufen, machen Regierungspolitiker*innen es andersherum: Sofort kaufen – zahlen tun andere.
Das Diekmoor ist Teil der Hamburger Kaltluftschneise. Es kühlt die Stadt, was angesichts der zunehmenden Erwärmung von immenser Bedeutung ist. Für alle Kaltleitbahnen gilt es, eine Bebauung möglichst zu vermeiden und Grün- und Freiflächen zu erhalten. Zu dem Thema gibt es ein Gutachten der Stadt Hamburg: »Stadtklimatische Bestandsaufnahme und Bewertung für das Landschaftsprogramm Hamburg Klimaanalyse und Klimawandelszenario 2050, Dirk Funk, 2012«.
Die Stadt hat die klimatischen Bedingungen im Norden sogar genutzt, um unbeliebte Bauvorhaben umsetzen zu können: In der Begründung zum Bebauungsplan des Diekmoorweges (Langenhorn 72) wird unter dem Stichwort »Schutzgut Klima« mit dem Diekmoor als Kaltschneise argumentiert. Wörtlich steht dort: »Auch die Grünfläche westlich des Plangebiets wirkt als bioklimatischer Entlastungsraum und Kalt-/Frischluftentstehungsgebiet.«
Und dann gibt es noch das Wasser, das die Stadt Hamburg unter anderem mit der Starkregenhinweiskarte untersucht: »Die Starkregenhinweiskarte ist eine digitale, wasserwirtschaftliche Planungshilfe. Sie gibt erste Anhaltspunkte, wo es aufgrund topografischer Tiefpunkte (Senken) und topografischer Gradienten (Fließwege) zu Überflutungen in Folge von Starkregenereignissen kommen könnte. Sie hilft dabei, die Starkregenvorsorge sowohl bei bestehender Bebauung als auch bei der Planung neuer Bauvorhaben zu verbessern.« Das gewünschte Baugebiet im Diekmoor ist mit dem dunkelsten Blau gefärbt, das die Karte hergibt, d.h., die Senke dort ist einen halben Meter bis unendlich tief – tiefer geht nicht. Drumherum sind es immerhin noch 30 bis 50 cm. Die vielen dunkellila Pfeile zeigen munter alle Richtungen, in die das Wasser läuft, wenn es zu viel wird. Und es sind tatsächlich alle Richtungen.
Damit es nicht dauernd zu viel wird, dient das Diekmoor an der Stelle als natürliches Versickerungspotential (auch dafür hat Hamburg eine Karte). Sollte das nicht ausreichen, zeigen sich die Folgen bei einem Spaziergang nach langen Regenperioden deutlich: Zahlreiche Kleingärten liegen knietief und mehr unter Wasser.
Ein Gutachten, was die Versiegelung dieses Gebietes für die Regenregulation bedeutet, braucht eigentlich kein vernünftiger Mensch. Dass es nicht vorliegt, wenn dort Wohnhäuser gebaut werden sollen, lässt allerdings manche Frage aus den möglichen Fluten auftauchen.
Eine Prognose lässt sich wohl ziemlich sicher wagen: Wenn das schief geht, werden sich die Regierungsmitglieder zum Ort des Schadens rudern lassen und mit tief betroffenen Mienen die »unvorhersehbare Katastrophe« kommentieren.
Soweit die regierungsamtlichen Fakten
(Noch) nicht regierungsamtlich und damit nicht auf den Internetseiten der Stadt Hamburg zu finden ist das letzte Wahlprogramm der Grünen. Dort heißt es: »Wir wollen Hamburg bis 2035 zur klimaneutralen Stadt machen … . Natur- und Artenschutz wollen wir im politischen und ökonomischen Handeln als Selbstverständlichkeit verankern… . Die Bewahrung und Steigerung der ökologischen Qualität unserer Natur- und Grünflächen ist ein weiterer wichtiger Baustein für die Bewahrung von Lebensqualität und ökologischer Vielfalt.«
Folgerichtig steht im Koalitionsvertrag für die laufende Regierungszeit von SPD und Grünen: »Wir wollen, dass Klimaschutz und bezahlbarer Wohnraum nicht länger als Gegensätze erscheinen. Klimaschutz ist wesentlicher Aspekt einer nachhaltigen Stadtentwicklung.“
Soweit die Hirngespinste. Die Wirklichkeit wird dort auch beschrieben: »Wir wollen flächeneffizient, ökologisch und nachhaltig bauen… .«
Auf jeden Fall wollen sie bauen! Und wenn in der Wirklichkeit ein Baum dem Bau im Weg steht, muss er weichen. Alles wie immer also und lange bekannt. Aber so ganz scheint die Regierung ihrem eigenen Wahlvolk nicht zu trauen. Sonst hätte sie gelassen der Volksabstimmung »Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!« entgegensehen können, statt sie vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Die Befürchtung ist wohl, dass aus den Hirngespinsten der Wähler*innen ein realer, riesiger Elefant werden könnte, der den Regierungsparteien und der Bauwirtschaft schmerzhaft auf die Füße tritt: Keine Versiegelung von Grünflächen, die größer als ein Hektar sind. Ein echter Beitrag zur Bewahrung von Lebensqualität, ökologischer Vielfalt und Klimaschutz!
Was könnte noch helfen?
In Italien heißt es gerade: »Wählen nützt nichts, Nichtwählen reicht nicht.« Was könnte noch helfen? In Hamburg vielleicht das: Der Zeitplan hat sich geändert, aber: Die Volksinitiative »Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!« wird stattfinden und stadtweit darüber abstimmen, ob künftig Flächen über 1 Hektar unversiegelt bleiben müssen.
Wenn Sie Ihre Stimme dafür geben wollen, können Sie es den Parteien mitteilen, nach dem Motto »meine Stimme zählt«. Wenn Sie das per Email machen, könnten Sie das eingesparte Porto an den Unterstützerverein »Für ein grünes Hamburg e. V.« spenden, denn jede Stimme kostet schätzungsweise 1 Euro für Öffentlichkeitsarbeit, Anwält*innen usw.
Wenn Sie ein, zwei, zehn oder mehr Menschen kennen, die ähnlich denken oder Lust haben, Hamburgs Grün noch mehr zu schützen, registrieren Sie sich als Sammler*in bei »Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!« und sammeln Sie Unterschriften für die Volksinitiative.
Und, wenn Sie mögen: Informieren Sie sich bei der Bürgerinitiative »Rettet das Diekmoor!« über Aktionen und Veranstaltungen im und zum Diekmoor – vielleicht ist ja etwas für Sie dabei.
Text: Sabine Kofahl
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